© Arto Hanciogullari und T. Tsekyi Thür

Einsatz von Glas bei den Petroleumlampen

Glas ist nach den Metallen das am zweithäufigsten verwendete Material bei den Petroleumlampen. Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, müssen alle Petroleumlampen einen Glaszylinder haben. Zählt man noch die Glasschirme jedweder Art dazu, und auch noch Lampenkörper aus Glas, wird die Bedeutung dieses Materials augenscheinlich.

Glas, als eines der ältesten Werkstoffe der Menschen, besteht zum größten Teil aus Siliziumdioxid (z.B. Quarzsand) und einigen anderen Oxiden in geringeren Mengen, die zusammen geschmolzen werden und beim Abkühlen keine Kristalle bilden. Glas ist also kein kristallines Material, sondern eine erstarrte Schmelze.

Je nachdem, welche Oxide in welchen Mengenverhältnissen zusammen geschmolzen werden, bekommt man Gläser mit mannigfaltig unterschiedlichen Eigenschaften. Das heute mit größtem Abstand am meisten verwendete „Kalk-Natron-Glas“ („Weichglas“) besteht aus 71-75% Siliziumdioxid. Der Rest ist zu gleichen Teilen Natriumoxid und Calciumoxid.

Das Kristallglas enthält in seiner Zusammensetzung bis zu 10% Bleioxid neben geringen Mengen Barium-, Kalium- und Zinkoxid. Mit dieser Zusammensetzung wird das Glas härter („Hartglas“, „Spiegelglas“) und bekommt mehr Brillianz. Die meisten Glaszylinder, die in ihrer Marke das Wort „Kristall“ oder „Cristal“ tragen, haben wohl ähnliche Zusammensetzungen. Trotz der Bezeichnung ist das Kristallglas nicht kristallin, sondern nach wie vor eine amorphe, erstarrte Schmelze. Das gilt auch für Bleikristall. Das Wort Kristall kommt daher, dass man versuchte, Gläser als preisgünstige Imitation von natürlichen Quarzkristallen (= „Bergkristall“) herzustellen.
 
Das Bleikristallglas muss mindestens 24% Bleioxid beinhalten. Dadurch bekommt das Glas die Eigenschaft, das Licht stark zu brechen und in seine Bestandteile zu zerlegen („Regenbogenfarben“). Diese Eigenschaft kann man sehr gut beobachten, wenn Sonnenlicht von einem kunstvoll geschliffenen Bleikristall in allen Regenbogenfarben reflektiert wird.

Das sehr hitzebeständige Borosilikatglas enthält neben 70-80% Siliziumdioxid ungefähr 10% Bortrioxid, wodurch das Glas seinen Namen bekommen hat. Ich vermute, dass neu hergestellte Glaszylinder sämtlich aus Borosilikatglas angefertigt werden.

Das opakweiße, undurchsichtige Milchglas erzielt man durch trübende Substanzen wie Calciumphosphat (Knochenasche), Fluoride oder Zinnoxid. Milchglas ist die meistverwendete Glassorte bei den Vesta-Schirmen für Petroleumlampen. Das Opalglas ist eine Abart von Milchglas. Zur Herstellung dieses Glases verwendet man Natriumfluorid als Trübungsstoff. Je nach Menge des eingesetzten Trübungsstoffs können ganz opake oder leicht durchscheinende, semi-opake Gläser erzeugt werden. Milchglas und Opalglas werden ganz allgemein als Synonyme verwendet. Der Begriff Opalin-Glas wird zwar oft mit Opalglas verwechselt, ist aber eigentlich die Bezeichnung eines dekorativen französischen Glases, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere in der Regierungszeit des Napoleon III. sehr populär war. Viele Dekorationsstücke wie Vasen, Schalen, Parfümflaschen, usw., wurden damals aus diesem milchig-weißen oder farbigen, leicht durchscheinenden Glas mit opalisierenden (= leicht farbig schillernden Reflexen, in etwa ähnlich zu den Opalen; daher der Name Opalin) Effekten angefertigt. Später wurde wohl der Begriff unterscheidlos für alle opaken, weißen oder farbigen Gläser verwendet. Es ist heute für den Laien sehr schwierig, diese Glassorten auseinander zu halten. Ich verwende daher immer die Bezeichnung „Milchglas“ wenn ich opakes, weißes und gefärbtes Glas beschreibe.

 

Gefärbte bzw. vollständig oder partiell getrübte Gläser
Obere Reihe, von links: Klassischer Vesta-Schirm aus opak-weißem Milchglas
Bemaltes Bassin aus hellblau-opakem Milchglas (Wild & Wessel)
In der Masse gefärbte, transparente Tulpe mit graviertem Dekor
Untere Reihe, von links: Tulpe aus transparent-rotem Glas, partiell getrübt (Fenton)
Tulpe aus Opalin-Glas mit geprägter Form und getöntem Oberrand
Bassin aus mundgeblasenem Uranglas mit partieller Trübung

 

Uranglas ist die Bezeichnung für eine Glasart, die mit bis zu 2% Uranoxiden hell grünlich-gelb gefärbt wurde. Die Färbung verlieh dem Glas eine leicht trübe, halb durchsichtige Erscheinung. Mit Zugabe anderer farbgebenden Substanzen konnte man auch andere Farbnuancen erreichen. Eine wichtige Eigenschaft von Uranglas und gleichzeitig sein untrügliches Erkennungsmerkmal ist seine intensive, hellgrüne Fluoreszenz unter UV-Licht. Trotz der eingesetzten Uranchemikalien ist die gemessene Radioaktivität sehr niedrig und völlig ungefährlich für Menschen.

In meiner Sammlung befinden sich einige gelbgefärbte Glasbassins und Glastulpen, die unter UV-Licht rot leuchten. Diese Leuchtfarbe unterscheidet sich sehr von der intensiven, hellgrün-leuchtenden Farbe des Uranglases unter UV-Licht; daher vermute ich, dass diese Gläser nicht aus Uranglas bestehen. Ich weiß es nicht, welche gelbfärbende Pigmente (Metalloxide?) diese rote Fluoreszenz bewirken.

Vaselinglas ist eine weit verbreitete Bezeichnung in englischsprachigen Ländern für Urangläser und andere Gläser mit einer ähnlichen Erscheinung von Uranglas, die aber unter UV-Licht nicht fluoreszieren. Der Name rührt daher, dass die ursprünglich in den USA vermarktete Vaseline-Creme fast das gleiche Aussehen des Uranglases hatte; die damalige Handelsware Vaseline® war nämlich leicht gelblich und halb durchsichtig (heute ist Vaseline eher farblos). Die Bezeichnung Vaselinglas ist also etwas irreführend; nicht alle Vaselingläser bestehen aus Uranglas.

 

Urangläser und andere Gläser unter UV-Licht
(Obere Reihe: Aufnahmen mit normalem LED-Kunstlicht; untere Reihe: mit UV-Licht)
Von links: Glasbassin aus Uranglas (grüne Fluoreszenz; L.009)
Tulpenschirm aus Uranglas (grüne Fluoreszenz; L.214)
Tulpenschirm aus gelbgefärbtem Glas (rot leuchtend; L.018)
Glasbassin einer Küchenlampe mit partieller Trübung (keine Fluoreszenz)

 

Formgebung bei Glas

Die meisten künstlerisch hochwertigen Glasobjekte bestehen aus mundgeblasenem Glas. Das Mundblasen und freie Formen eines Hohlglases erfordert große Erfahrung und Feinfühlung des Glasmachers. Jedes Stück, das auf diese Art und Weise entsteht, ist an sich ein Unikat, denn es ist unmöglich zwei absolut identische Glaskörper nur durch das Blasen mit einer Glasmacherpfeife zu erzeugen. Die Individualität dieser Stücke ist mit Sicherheit eine wertvolle Eigenschaft.

Ich bin kein Glas-Fachmann. Ich weiß es nicht, ob viele Glasbassins nur durch freies Mundblasen hergestellt worden sind. Ein wesentlich einfacheres Verfahren ist hingegen oft bei der Anfertigung von Glasbassins und Glasvasen für Petroleumlampen angewendet worden, nämlich das „In-Form-Blasen“. Eine Hohlform meistens aus Birnenholz mit der exakten Form des zu erzeugenden Glasstückes wird in Wasser getränkt. Der Glasmacher platziert die noch sehr heiße, fast fließfähige Glaskugel in diese Hohlform und bläst so lange unter dauerndem Drehen, bis das Glas die Innenwände der Hohlform komplett bedeckt und deren Form exakt nachbildet. Dabei fungieren Wasserdämpfe, die durch das Verdampfen des Wassers im Holz entstehen, wie ein Schmierstoff zwischen Holzform und Glasmasse. Durch diese Methode kann man komplizierte Profilierungen (wie z.B. bei den deutschen Glaslampen, deren Fuß- und Säule-Kombination wie „gedrechselt“ aussieht) herstellen. Auch für einfache Glasbassins ohne irgendwelche Schnörkel ist dieses Verfahren gut geeignet, denn dadurch bekommt man ganz gleichmäßig geformte Glaskörper ohne die kleinsten Abweichungen in den Dimensionen. Unter dem Fuß der Glaslampenkörper, die durch das Blasen in Form angefertigt worden sind, befindet sich das Abrissloch, das zwangsläufig entsteht, wenn man das bis dahin daran haftende Metallrohr (= die Glasmacherpfeife) von dem fertigen Stück durch Abschlagen entfernt.

Eine besondere Art sind die „optisch geblasenen“ Gläser. Diese kann man daran erkennen, dass ihre Glaswand ein optisch sehr gut wahrnehmbares Reliefmuster in Form von länglichen, meistens vertikalen oder diagonalen Bändern mit weichen Übergängen enthält. Diese Bänder entstehen durch die unterschiedliche Dicke der Glaswand. Um diesen Effekt zu erzielen werden die Gläser zunächst in eine Form vorgeblasen, die diese Bänder-Reliefierung aufweist. Der Glaskörper wird anschließend frei mundgeblasen mit beliebiger Drehung und Verziehung des Bändermusters und falls erwünscht, wieder in einer Rundform weiter geblasen, um die Außenwand zu glätten. Nach diesem letzten Schritt ist die erzeugte Reliefierung jetzt nur an der Innenwand existent. Sehr viele Glasbassins, Tulpen- und Kugelschirme für Petroleumlampen sind auf diese Art und Weise optisch geblasen und damit in ihrer optischen Wirkung interessanter gestaltet.

 

In Form geblasene und optisch geblasene Gläser
Obere Reihe, von links: In Form geblasener Fußteil, Opalglas bemalt
In Form geblasener Fußteil aus opak-weißem Milchglas
In Form geblasenes Bassin aus opakem, grauweißem Milchglas
Untere Reihe, von links: In Form geblasener Fußteil, unten zusätzlich optisch gerippt
Optisch geblasenes Bassin aus blau-transparentem Glas
Diagonal optisch geblasene Tulpe aus satiniertem Glas

 

Ein weiteres, wohl auch sehr oft angewendetes Verfahren ist das Pressen des Glases zwischen zwei Formen. Das oben beschriebene Blasen in Form ergibt in erster Linie schön profilierte, aber glatte Wände. Will man nun reliefierte, erhaben stehende Ornamente an der Glaswand haben, muss man das Glas zwischen zwei Formen pressen, von denen die eine das Muster der erwünschten Ornamentierung in umgekehrter Prägung trägt. Das Verfahren mit zwei Pressformen hat allerdings einen Haken: Es ist auf Glasobjekte beschränkt, bei denen man den inneren Stempel nach der Formung des Glases wieder entfernen kann. Das sind z.B. Vasen, Trinkgläser, Becher, Pokale, etc. deren obere Öffnung nicht enger als ihre innere Hohlform ist. Bei Gefäßen, bei denen das nicht zutrifft, muss man anstelle des inneren Stempels doch wieder Druckluft einsetzen, die man jetzt mittels Luftpumpen mechanisch erzeugt. Die äußere, gemusterte Druckform ist meistens aus 2 oder mehr Stücken zusammengesetzt. Diese Gläser erkennt man daran, dass die Nahtstellen der Druckformen möglicherweise noch sichtbar sind. Alle geprägten Glasbassins und Glasschirme, auch vertikal gerippte oder sonst wie geprägte Vesta-Schirme sind aus Pressglas.

 

Beispiele für Bassins und Schirme aus Pressglas
Obere Reihe, von links: Glasbassin mit geprägtem Muster
Glasbassin von Baccarat mit schräglaufendem Rippenmuster
Glasbassin aus USA mit Schliff-Imitation (die Formnaht gut sichtbar)
Glassäule und Fußteil mit Schliff-Imitation (Kästner & Töbelmann)
Untere Reihe, von links: Tulpe von S. Reich geprägt in Melonenform
Tulpe von St. Louis in diagonaler Melonenform
Vesta-Schirm aus Frankreich mit vertikalen Rippen
Vesta-Schirm aus Großbritannien mit geprägtem Muster (Detail)

 

Farbige Gestaltung von Glas

Es ist heute sehr gut möglich, Gläser mit allen Farbtonen herzustellen, indem man entsprechende farbgebende Substanzen zum geschmolzenen Glas zugibt.  Diese Möglichkeit wird sowohl industriell, also in großem Maßstab, als auch bei manuell hergestellten Kunstgläsern eingesetzt. Dadurch erzeugt man Gläser, die in ihrer gesamten Masse durchgefärbt sind.

Ist eine Durchfärbung des Glases nicht notwendig oder gar unerwünscht, kann man das Glas auch mit einer farbigen Schicht überziehen. Das kann zum Beispiel dadurch gelingen, dass eine durchgehend gefärbte Glassorte auf das zu färbende Glas aufgeschmolzen wird. Diesen Prozess nennt man „überfangen“. Das dadurch hergestellte Überfangglas ist sichtbar zweischichtig, denn die beiden Glasarten vermischen sich nicht miteinander. Die allermeisten Vesta-Schirme oder Kugelschirme der neueren Zeit sind durch das Überfangen einer opakweißen Milchglas-Schicht mit einem farblosen oder gefärbten, transparenten Glas entstanden. Es gibt sogar dreischichtige Gläser, bei denen nur ein dünnes Milchglas von beiden Seiten mit normalem Glas überfangen wurde. Nur die frühen weißen Vesta-Schirme bestehen aus einer kompletten Milchglas-Schicht.

 

Beispiele für überfangene und gebeizte Gläser
Die ersten 3 Beispiele von links: Opakweißes Milchglas (a) überfangen mit rotem Glas (b)
Opakweißes Milchglas (a) überfangen mit transparent-farblosem Glas (b)
Opakweißes Milchglas (a) überfangen an beiden Seiten mit transparent-farblosen Glasschichten (b und c)
Die letzten 2 Fotos rechts: Oben: Hellrosa gebeiztes Glas mit manuellem Schliff
Unten: Partiell rot gebeiztes Glas mit anschließender Ätzung

 

Vom Glasbeizen spricht man, wenn das Glas nicht mit einem anderen, farbigen Glas überfangen wird, sondern direkt mit der farbgebenden Substanz überzogen und wieder erhitzt wird, bis diese Substanz fest an der Glasoberfläche haftet. Dadurch erreicht man Gläser, die nur an ihrer Oberfläche gefärbt sind. Man kann diesen Effekt auch dadurch erzielen, indem man das Glas mit einer ganz dünnen, farbigen Glasschicht überzieht. Durch partielles Abschleifen dieser gefärbten Oberfläche, womit das ungefärbte Glas zum Vorschein kommt,  bekommt man reizvoll dekorierte Gläser. Die meisten geschliffenen (oder „geschnittenen“) rubinroten oder anders gefärbten Kristallgläser aus Böhmen sind auf diese Art und Weise entstanden.

Bei der manuellen Fertigung in den Glashütten hat man natürlich viele andere, künstlerische  Gestaltungsmöglichkeiten. Der Glasmacher kann seinem noch sehr heißen, rotglühenden Glasstück eine partielle Farbe verleihen, indem er ein Stückchen Glas mit dieser Farbe an einer gewünschten Stelle daran haftet und danach mitschmelzen lässt. Auf diese Art und Weise sind wohl die meisten Tulpenschirme entstanden, die an ihrem oberen Rand farbig, im restlichen Teil farblos oder andersfarbig sind.

Man kann bei mundgeblasenem Glas kleine, farbige Glasstücke als farbige Dekoration in das Glas einarbeiten, indem die noch rotglühende Glaskugel auf solche Glassplitter gewalzt und anschließend wieder hoch erhitzt wird. Mit dieser Vorgehensweise erzielt man Gläser mit kleinen, unterschiedlich gefärbten Stellen. Diese „gesprenkelt“ aussehenden Gläser waren wohl eine Spezialität von Cristallerie de Clichy in Paris.

An dieser Stelle möchte ich auch eine besondere Art des Überfangglases vorstellen. Hier wurden zwei Glasschichten übereinander gelegt, und zwar derart, dass dazwischen kleine, aneinandergereihte, geometrische, mit Luft gefüllte „Kissen“ entstehen. Ich kenne diese Herstellungstechnik nicht, kann ich mir aber (als völligen Laien) vorstellen, dass man auf einem Glaskörper ein geometrisches Muster aus sich kreuzenden Glasfäden aufschmilzt, die später die Trennlinien zwischen den Luftkissen werden, und auf diese Glasfäden erneut eine dünne Glasschicht anbringt, die sich mit den Glaslinien verbindet, nicht jedoch mit der ersten Glasschicht darunter. Dadurch entstehen leere Räume, die nur Luft beinhalten. Ob meine Vermutung richtig oder falsch ist, ist unwichtig. Richtig ist es dagegen zu sagen, dass diese Glasobjekte meisterliche Schöpfungen von Glasmacherhand sind.

 

Beispiele für Mehrschichten-Gläser mit luftgefüllten Kammern
Von links: Tulpe mit rechteckigen Luftkammern
Tulpe mit dreieckigen Kammern
Lampenvase mit rautenförmigen Kammern
Lampenvase mit zickzack-förmigen Luftbändern

 

Selbstverständlich kann man Gläser auch farbig gestalten, indem man mit Emailfarben oder anderen Farben darauf malt (siehe Unterkapitel Emaille, Cloisonné, Champlevé) oder sie sogar mit Siebdruck oder anderen, geeigneten Drucktechniken bedruckt.

 

Veredelung der Glasoberflächen

Die Glasoberflächen bieten die Möglichkeit einer weiteren Veredelung, indem man beliebige dekorative Muster und Zeichnungen darauf anbringt. Dies geschieht in erster Linie mit chemischen (Ätzung) und mechanischen (Sandstrahlen, Gravur, Schliff etc.) Methoden, die man sogar mehrfach anwenden und auch miteinander kombinieren kann.

Glas ist gegenüber allen möglichen Chemikalien völlig unempfindlich. Das ist auch der Grund, warum Glas das optimale Medium für Gefäße von verschiedensten Flüssigkeiten ist. Nur die Flusssäure (Fluorwasserstoff HF in wässriger Lösung) kann das Glas angreifen. Mit dieser Säure kann man ein transparentes Glas an seiner Oberfläche soweit ätzen, dass eine aufgeraute, undurchsichtige Schicht entsteht. Je nach Ätzdauer kann man Oberflächen von semi-transparenter bis ganz undurchsichtiger Erscheinung erzeugen. Dieser Vorgang heißt Satinieren in deutschem Sprachgebrauch. Die satinierte Glasoberfläche erscheint matt und kann keine Lichtreflexe mehr spiegeln. Sehr viele Tulpen- und Kugelschirme, auch etliche Glasbassins sind satiniert.

Durch gezielte Anwendung des Ätzvorgangs nur an ausgewählten Stellen des Glases kann man unterschiedliche Muster, gar komplizierte Zeichnungen und Bilder erzeugen. Solche Verfahren benötigen teilweise mehrstufige Ätzungen, um unterschiedlich stark geätzte Oberflächen mit unterschiedlicher Durchsichtigkeit zu bekommen. Da durch längeres Ätzen mit stärker konzentrierten Flusssäuren das Glas buchstäblich aufgelöst und abgetragen wird, kann man damit auch unterschiedlich hohe oder tiefe, reliefierte Stellen erzeugen. Diese „topografische“ Oberfläche kann man sehr gut mit den Fingerspitzen ertasten. Die Stellen des Glases, die von Anfang an ungeätzt, also transparent bleiben sollen, oder auch schon geätzte Stellen, die bei weiteren Anwendungen nicht weiter geätzt werden sollen, deckt man mit säureresistenten Abdecklacken.

Ich unterscheide grundsätzlich zwischen drei Arten der Ätzung eines Musters bei den Gläsern für Petroleumlampen:

Flach-geätzt“: Eine einstufige, kurze Ätzung ergibt eine völlig flache, plane Oberfläche, bei der entweder das Muster transparent gehalten ist, indem man das Muster vor Säureeinwirkung geschützt und die Umgebung geätzt hat, oder genau umgekehrt, nur das Muster eingeätzt, aber die Zwischenräume geschützt hat. Ich nenne diese Art der Ätzung „flach-geätzt“. Bei dieser Methode erzeugt man keine tiefer- oder höhergelegenen Stellen. Die allermeisten britischen Glasschirme weisen diese relativ einfache Flach-Ätzung auf.

Tief-geätzt“: Das Muster oder Teile des zu wiedergebenden Bilds sind durch stärkeres Ätzen tiefer gelegt als ihre Umgebung. Man kann eine Tief-Ätzung theoretisch sowohl einstufig als auch mehrstufig gestalten. Bei einstufiger Ätzung bekommt man nur diejenigen Partien geätzt, die von Abdecklack nicht bedeckt waren; andere Teile der Glasoberfläche bleiben transparent. Von mehrstufiger Ätzung spricht man, wenn man unterschiedliche Partien unterschiedlich stark ätzt, so dass sehr reizvolle Muster und Bilder entstehen können. Dabei können die geätzten Oberflächen von fast durchsichtig, glänzend bis zu vollkommen matt und undurchsichtig variieren.  

Hoch-geätzt“: Hoch-geätzte Muster sind die Umkehrung der tief-geätzten Muster. Hier ist das Muster (bzw. das Bild) höher stehend als die Umgebung. Auch hier sind ein- oder mehrstufige Ätzungen gut möglich.

 

Glasschirme mit geätzten Oberflächen
(Schemata: Motive in Rot; Umgebung in Schwarz; geätzte Stellen dick angezeichnet)
Von links: A) Flach-geätzt: Motiv flach-satiniert; Umgebung transparent gehalten (Kugelschirm von Vianne)
B) Tief-geätzt: Motiv tiefstehend und geätzt; hochliegende Umgebung auch geätzt (Kugelschirm von Baccarat)
C) Hoch-geätzt: Motiv hochstehend und geätzt; tiefliegende Umgebung transparent (Tulpe aus Großbritannien)
D) Hoch-geätzt: Motiv hochstehend und geätzt; tiefliegende Umgebung auch geätzt (Tulpe von St. Louis)

 

Die französischen Glashersteller wie St. Louis oder Baccarat haben durch mehrstufige Glasätzung wunderschöne, hochwertige Glasschirme für Lampen hergestellt. Auch aus Großbritannien sind genauso kompliziert angefertigte Tulpenschirme mit fühlbar reliefierter Oberfläche bekannt. Die heute zu enorm hohen Preisen angebotenen britischen Schirme aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind dagegen nur einstufig-flachgeätzte Schirme, die zwar ein gefälliges Muster aufweisen, aber die Qualität der künstlerisch wie handwerklich sehr hochwertigen, mehrstufig geätzten frühen Schirme nicht erreichen können.

Die französischen Glasmanufakturen haben auch andere Techniken ausgearbeitet, mit denen sie eigentümliche und klar erkennbare Strukturen auf der ganzen Glasoberfläche ätzen konnten. Insbesondere in Kombination mit anderen Techniken hat man wunderschöne Glasschirme und Glasbassins hergestellt, die zum Teil auch bemalt wurden. Neben Baccarat und St. Louis hat ebenfalls Cristallerie de Pantin bei Paris ein eigentümliches, an Eisstrukturen erinnerndes Muster geschaffen, das auch teilweise übermalt wurde.

Verrerie de Vianne im Südwesten von Frankreich produzierte sowohl einfach- als auch mehrstufig geätzte Glasschirme, die nach Großbritannien und USA exportiert wurden.

 

Gläser mit andersartigen Ätzstrukturen aus Frankreich
Von links: Ganzflächiges Strukturenmuster von Baccarat
Ein anderes Strukturenmuster von Baccarat, kombiniert mit rot gebeizten Partien
Ganzflächiges Strukturenmuster von Pantin mit überbemalten Partien
Stark struktur-geätztes, ganz undurchsichtiges Glas (hier mit zusätzlicher Bemalung)

 

Die Satinierung oder Bemusterung einer Glasoberfläche kann man auch auf mechanischem Wege, durch das Bestrahlen mit Sandkörnern oder anderen, abrasiven Partikelchen erreichen. Das Sandstrahlen wurde als ein einfaches, zeit- und kostensparendes Verfahren oft bei den Schirmen mit einfachen Mustern (z.B. bei Melonen- und Walzentulpen, oder bei den späteren britischen Kugel- und „beehive“-Schirmen) angewendet, und ist dadurch gekennzeichnet, dass die Übergänge von ungestrahlten, transparenten und gestrahlten, satinierten Flächen nicht scharf sondern leicht diffus und verschwommen erscheinen. Mit Sandstrahlen wurden nur flache, nicht vertiefte oder höher stehende Muster erzeugt.

Eine bei den Glasobjekten für Petroleumlampen nur selten angewandte Art der Glasverzierung ist das Anbringen eines dekorativen Musters mit der sog. pâte de verre-Technik. Der französische Begriff pâte de verre heißt Glaspaste. Bei dieser Technik wird eine farblose oder farbige Glaspaste (ein Gemisch aus Glaspulver, Farbstoffen, Bindemittel und Wasser; ähnlich zu Emailfarben) in die als Muster angebrachten Vertiefungen einer Form verteilt und gebrannt. Anschließend deckt man die komplette Innenfläche der Form mit einer anderen Glaspaste und lässt es erneut brennen, so dass sich die beiden unterschiedlichen Glaspartien miteinander verbinden. Dadurch entstehen plastische, stark reliefierte Muster, Strukturen oder gar Skulpturen aus Glas auf einem Glaskörper, das aus einem andersfarbigen oder andersartigen Glas besteht. Diese aufwändige Technik wurde viel öfter von Glaskünstlern praktiziert. Ich kenne allerdings Glasschirme, deren erhaben angebrachte Verzierungen aus Glas auf diese oder eine andere, verwandte Technik hinweisen. Möglicherweise wurden dabei vorbereitete Glaspasten-Muster direkt auf einen Schirm angebracht und anschließend aufgeschmolzen (siehe Foto unten; erste Abbildung). Man kann allerdings auch einfachere Muster aus Glas anbringen, indem man getrennt vorbereitete, noch heiße Glasdekorationen auf dem zu verzierenden Glaskörper anheftet und sie dann erneut schmelzen lässt.

 

Beispiele für zusätzlich angebrachte Verzierungen aus Glas
Von links: Kompliziertes Muster auf einem britischen Kugelschirm
Sehr dünne und gleichmäßige rote Glasfäden aufgeschmolzen auf einer Tulpe
Dunkelrote, unregelmäßige Glasfäden aufgeschmolzen auf einem Bassin (Pallme-König)
Dunkelgrüne Glasdekore (Cabochons und Kordelbänder) aufgeschmolzen auf einem Bassin

 

Eine vielfach verbreiterte Art der mechanischen Veredelung und Verzierung ist das dekorative Schleifen oder Gravieren der Glasoberfläche. Hierbei werden bestimmte Partien der Glasoberfläche durch rotierende, scharfkantige, unterschiedlich abrasive Räder abgetragen. Für die Gravur benötigt man Kupferrädchen mit unterschiedlichem Durchmesser und Profil. Zum Schleifen werden Räder aus Natursteinen oder synthetisch erzeugten Schleifsteinen wie Korund-Scheiben eingesetzt. Je nach Profilierung und Körnung der Schleifscheiben können feine bis breite, L- oder V-förmige Schnitte erzielt werden. Man kann die geschliffenen Teile matt lassen oder mit geeigneten Polierscheiben in mehreren Schritten bis zur völligen Transparenz hochpolieren.

Mit dieser Technik wurden nicht nur farblos-transparente Glasbassins aus Kristallglas verziert, sondern auch andere Glasteile der Petroleumlampen, wie Vasen, Säulen oder Sockel, gestalterisch veredelt. Eine oft verwendete Technik ist das Anbringen von langen, sich kreuzenden Linien aus V-Schnitten, um mehreckige, erhaben stehende Muster zu erzeugen (z.B. achteckige Diamantenform oder vierkantige Pyramidenform). Eine andere, nicht minder reizvolle Art ist das punktuelle Abschleifen von größeren Partien mit breiteren Schleifsteinen, womit man kreisförmige, oval-längliche (Olivenschliff), sehr längliche (Schälschliff) Vertiefungen oder komplett-plane, „facettiert“-geschnittene Oberflächen erzielt. Besonders reizvolle Farbmuster entstehen, wenn man farbig gebeizte oder überfangene Gläser mit solchen Schliffen versieht, wobei die unten liegenden Glasschichten (farbig oder transparent-farblos) sehr dekorativ zum Vorschein kommen.   

Von den französischen Glasmanufakturen hat insbesondere Baccarat schöne Glasbassins mit mehrreihigen Olivenschnitten oder sehr breiten, sich berührenden V-Schnitten für Petroleumlampen hergestellt. Aus Großbritannien kamen hochwertige Kristallbassins mit aufwändigem Diamantenschliff.

 

Unterschiedlich geschliffene, geschnittene und gravierte Gläser
Obere Reihe, von links: Bassin mit oktogonalem Diamantenschnitt
Kugelschirm mit Kreuzlinienschnitt
Bassin mit facettiert geschliffener Wand
Mittlere Reihe, von links: Bassin mit dreireihigen Olivenschnitten (Messenger & Co.)
Glassäule mit länglichem Schälschliff
Bassin mit mehrfachem, breitem V-Schnitt (Baccarat)
Untere Reihe, von links: Geschnittene Sterne auf partiell dunkelrot gebeiztem Bassin
Sinumbra-Tulpe mit graviertem Dekor
Bassin aus rotgebeiztem und graviertem Glas (Böhmen)